Güli - Von der Pflege zur Betreuung von Menschen mit Behinderungen: Eine persönliche Reise

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Güli - Von der Pflege zur Betreuung von Menschen mit Behinderungen: Eine persönliche Reise

Was hat dich dazu bewegt, von der Pflege in die Arbeit mit Menschen mit Behinderung zu wechseln?

Nach jahrelanger Arbeit im Krankenhaus, insbesondere Intensivstation und des Weiteren auch zwei Jahre im Praxisbereich, habe ich nach einer neuen Herausforderung gesucht. Ganz klassisch entdeckte ich eine Stellenanzeige in der Zeitung für ein Unternehmen, welches sich mit der Arbeit mit behinderten Menschen spezialisiert hat. Zuvor habe ich mir nie ausgemalt eines Tages in so einem Bereich zu arbeiten. Aber schon als Kind hatte ich Erfahrung mit behinderten Menschen. Denn ich war in einem integrativen Kindergarten, wo Kinder mit und ohne Behinderung in Gruppen zusammen betreut wurden.


Im Bewerbungsgespräch stellte sich heraus, dass die ausgeschriebene Stelle bereits vergeben war. Mir wurde eine andere Stelle in einer besonderen Wohnform angeboten, wo die Bewohner/Klienten Zuhause leben. Das konnte ich mir nicht vorstellen, aber der damalige Leiter hatte sich große Mühe gegeben, dass ihr mir das ganze mal vor Ort anschaue.


Ich war sehr angetan von den Menschen, die dort betreut werden. Vom ersten Moment an, war ich Teil der Gemeinschaft und wurde herzlich aufgenommen.
Die Bewohner haben sehr schnell mein Herz erobert, sodass ich kurze Zeit später meinen Vertrag unterschrieben habe. Mittlerweile arbeite ich über 4 Jahre in dem Bereich, habe im Dezember 2022 innerhalb des Unternehmens gewechselt. Seitdem arbeite ich im Tagesförderbereich in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Hier betreue ich mit meinen Kollegen mehrfach schwerbehinderte Menschen. Eine große Herausforderung, aber ich wachse an meinen Aufgaben.

Wie unterscheidet sich dein aktueller Beruf von deiner vorherigen Tätigkeit als Pflegekraft?

Das Interessante an unserem Beruf ist die große Vielfältigkeit. Jeder Bereich ist verschieden und bringt jeweils seine eigenen speziellen Seiten mit sich.
Im Krankenhaus gibt es wenig Spielraum für individuelle Pflege. Aufgrund zeitlicher und auch therapiebedingter Vorgaben, müssen interdisziplinär im Team Maßnahmen zeitnah durchgeführt werden.
Der Alltag ist von Visiten, Untersuchungen und verschiedenen Behandlungen geprägt. In meinem jetzigen Bereich sind die Strukturen ganz anders und man kann sehr individuell arbeiten, natürlich auch entsprechend der Umstände und Bedingungen. Jedoch ist das kein Vergleich zum Krankenhaus. Am Wochenende muss sich zum Bsp. das Personal in den besonderen Wohnformen auch um die Verpflegung kümmern, d.h. für die Klienten kochen. Das ist auch nicht immer einfach.
Diese Einrichtungen sind langzeitstationär. Das war für mich eine große Umstellung, da man hier immer mit den gleichen Klienten arbeitet und nicht tägliche Wechsel erfolgen. Manchmal fehlt mir das, aber auch das hat Vor- und Nachteile. So lernt man die Menschen, mit denen man arbeitet wirklich richtig kennen und wie sie leben. Das hat mir geholfen die Gewohnheiten der Bewohner kennenzulernen und ihre Eigenheiten zu verstehen. Biografiearbeit ist hier essenziell.

Was sind die größten Herausforderungen in deiner Arbeit mit Menschen mit Behinderung?

Da gibt es zahlreiche. Sehr weit vorne steht die Verständigungsproblematik. Denn oft habe ich mit Klienten zu tun, die sich verbal nicht äußern können, sondern oft nur mit Lauten. Ich habe die nonverbale Kommunikation noch nie so ausgeprägt kennengelernt, wie in diesem Bereich.

Man muss den Menschen viel Zeit geben, enorm viel Geduld aufweisen und darauf achten stets zu de-eskalieren. Denn einige Bewohner wissen nicht, was Grenzen bedeuten und wandeln sich schnell, wenn sie nicht das bekommen, was sie jetzt in dem Moment gerne hätten. Natürlich haben sie ein Selbstbestimmungsrecht und sie dürfen und sollen so viel wie möglich selbst entscheiden, aber man hat als Betreuer eine Fürsorgepflicht und muss hier auf die Menschen achten, mit denen man arbeitet. Die Ressourcen sollen stets gefördert werden und die Selbstständigkeit ist im Vordergrund.

Der Lärmpegel ist auffällig hoch und gehört zu den mit am größten psychischen Belastungen. Ebenso ist die physische Belastung auch beträchtlich. Aber wir arbeiten hier viel mit Hilfsmitteln, die uns den Alltag enorm erleichtern. Des Weiteren ist die Arbeit mit den Klienten oft sehr körpernah. Sie suchen Verständnis in Nähe und Körperkontakt. Für viele Mitarbeiter ist das anfangs sehr neu und ungewohnt oder auch zu nah. Nähe und Distanz ist hier ein wichtiges Thema, denn es ist wichtig sich professionell zu verhalten, egal in welcher Situation.

Erzähl uns von einer Erfahrung, die dich besonders berührt hat.

Ich könnte sehr viele schöne Erfahrungen jetzt aufführen, denn ich sehe sie täglich in meiner Arbeit. Schon morgens, wenn ich die Klienten das erste Mal sehe, bemerke ich bereits wie deren Stimmung ist und wie der Tag wahrscheinlich sein wird. Das Lächeln von ihnen ist ein schöner Start in den Dienst.

Faszinierend finde ich, wieviel die Bewohner verstehen, wenn ich mit ihnen rede, obwohl sie mir verbal nicht antworten können. Wie sie mich manchmal ohne Grund einfach umarmen, ist sehr herzerwärmend. Das rührt mich sehr.
Aktuell haben wir eine Klientin, die leider stark dement ist und im Ganzen betrachtet eine große Herausforderung darstellt. An ihren schlimmsten Tagen schreit und jammert sie den ganzen Tag. Manchmal ist man selbst mit seinem Latein am Ende und weiß nicht weiter.

Instinktiv habe ich mich anfangs dann einfach neben sie gesetzt. Sie ertastete meine Hand, hielt sie fest, lehnte sich an meine Schulter, war ganz ruhig und entspannt. Und dabei schlief sie ein. Das ist meist das Einzige, was sie beruhigen kann. Leider fehlt da oft die Zeit und auch das Personal. Gerade solche Menschen brauchen viel Aufmerksamkeit, Ruhe und auch Raum. Und das fehlt überall.

 

Was macht deiner Meinung nach einen guten Betreuer/ eine gute Betreuerin aus?

Es gibt nicht den perfekten Betreuer, denn wir Menschen sind alle nicht perfekt. Aber es gibt Eigenschaften, die in diesem Bereich sehr wichtig und hilfreich sind.
Verständnis und Empathie sind von großer Bedeutung. Ein Feingefühl für Menschen ist von großem Vorteil. Gute Organisation und Strukturierung, Kreativität, ein gewisses Maß an Humor sind für mich sehr wichtig.
Ehrlichkeit, auch im Umgang mit den Klienten und diese wie Menschen behandeln, die alle ihre Rechte haben, sind ebenso bedeutsam. Akzeptanz und Respekt, de-eskalierendes Verhalten sind erwähnenswert, denn Strafen oder Konsequenzen erzeugen keine Besserung und ebenso kaum Lerneffekt. Wir müssen uns immer wieder bewusst machen mit welchen Menschen wir es hier zu tun haben, denn die Beeinträchtigungen von ihnen bestimmen den Alltag.

Wie sieht dein typischer Arbeitstag aus?

Im Tagesförderbereich fängt mein Tagdienst mit allgemeinen Vorbereitungen an. Dann wird sich mit den Kollegen im Team kurz ausgetauscht, was am heutigen Tag ansteht und wie die Aufteilung ist bzw wer welche Aufgaben übernimmt. Die Bewohner kommen erstmal in Ruhe an. Ich mache Musik an oder ein Entspannungsvideofilm auf dem TV. Ein paar Klienten beschäftigen sich selbstständig mit Spielen, Puzzlen etc.

Das Frühstück wird vorbereitet und dann gemeinsam eingenommen. Die, die Hilfe benötigen, bekommen Unterstützung. Danach erfolgt die pflegerische Versorgung, wo es notwendig ist.
Bis zum Mittagessen können sich die Klienten selbstständig beschäftigen oder es werden von den anwesenden Betreuern Angebote gemacht wie Spazieren gehen, Entspannung, Gymnastik, kreative Arbeiten, Musik hören usw.

Zum Mittag wird das Essen mundgerecht vorbereitet. Medikamente werden verteilt. Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme. Der Küchendienst erfolgt durch das Personal, Klienten können bei kleinen Tätigkeiten unterstützend mitwirken. Danach kommt die pflegerische Versorgung und Mittagsruhe für die Klienten, die es möchten. Ansonsten können sie sich gerne auch beschäftigen. Angebote sind frei zugänglich und sie können sich das aussuchen, was sie gerne machen möchten.

Nach der Ruhezeit werden Getränke angeboten, sich mit den Bewohnern beschäftigt, die Versorgung gewährleistet. Die Dokumentation über die Geschehnisse des Tages erfolgt. Die Bewohner, die von Zuhause kommen, haben auch jeweils noch ein Buch, wo die Kommunikation mit den Angehörigen darüber läuft. Da ich eine Teilzeitstelle habe, endet mein Arbeitstag früher, als der von meinen Kollegen.

Zum Ende des Tages werden die Bewohner wieder gesammelt zum Haupteingang gebracht werden, wo die Busse bereits auf sie warten.

Wie hat sich dein Berufswunsch im Laufe der Zeit verändert?

Mit dem Lauf der Zeit habe ich den Beruf aus vielen verschiedenen Bereichen und Blickwinkeln kennenlernen dürfen. Dabei habe ich zahlreiche Arten von Menschen erlebt, von denen ich viel lernen konnte. Ich schätze die Einzigartigkeit des Pflegeberufs und es war schon mein Kindheitstraum gewesen, Krankenschwester zu werden.

Ich bin bei meiner Arbeit in meinem Element und kann so sein, wie ich bin. Ich kann meine Stärken bestmöglich einsetzen und darf aber auch meine Schwächen haben und zeigen. Die Menschen, mit denen ich arbeite, profitieren von beiden Seiten bei mir. Und ich genauso auch von ihnen. Das ist menschlich. Und dieser Job zeigt auf die schönste Art und Weise, was es heißt, Mensch zu sein. Denn jeder ist anders und jeder ist individuell. Ich liebe diesen Beruf dafür und er hat mich in vielerlei Hinsicht geprägt.

Was möchtest du jungen Menschen mit auf den Weg geben, die sich für einen ähnlichen Beruf interessieren?

Wenn ihr Interesse habt in diesem Bereich zu arbeiten, aber euch unsicher fühlt, dann empfehle ich ein Praktikum. Hier kann man hautnah erleben, was das für eine Arbeit ist und wie es einem dabei ergeht. Nur Gehörtes und nur durch Lesen hat man oft eine verzerrte und einseitige Wahrnehmung. Unser Beruf hat so viele Möglichkeiten.
Wir müssen uns nur trauen, sie zu entdecken. Jeder kann seinen Platz finden und glücklich sein. Ich finde unser Beruf ist sehr sinnstiftend und wertvoll. Informiert euch und habt den Mut reinzuschnuppern. Es ist ein Job, der euch bereichern wird, in jeglicher Hinsicht. Ich würde diesen Beruf jederzeit wieder für mich wählen.
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